Dortmund: Mord-Prozess Schalla im Überblick
Veröffentlicht: Montag, 25.01.2021 14:00
Nicole-Denise Schalla war gerade einmal 16 Jahre alt, als sie am 14. Oktober 1993 im Jungferntal in Dortmund-Rahm vergewaltigt und ermordet wurde. Sie war auf dem Weg nach Hause vom Reitstall, kam aber nie dort an. Mehr als 27 Jahre später wurde das Urteil gegen ihren mutmaßlichen Mörder gesprochen. Nach einem Prozess, der einer Odyssee gleicht.
Juni 2018
Im Juni 2018 verkündet Staatsanwalt Henner Kruse, dass die Polizei den mutmaßlichen Mörder von Nicole-Denise Schalla festgenommen habe. Eine Sensation nach 25 Jahren. Eine winzige Hautschuppe und eine neue Art der DNA-Analyse- der sogenannte Einzelschuppennachweis - hat zum Erfolg geführt. Auf dem Körper von Nicole-Denise waren damals mit Klebefolien mögliche Spuren gesichert worden.
Wer ist der mutmaßliche Täter?
Die Polizei nahm den damals 52-jährigen Ralf H. aus Castrop-Rauxel fest. Er musste Ende Juni 2018 umgehend in Untersuchungshaft. Ralf H. war kein Unbekannter für die Polizei: Er war wegen mehrerer Gewaltdelikte vorbestraft.
Neben der übereinstimmenden DNA passt auch die Personenbeschreibung, die der Busfahrer vor 25 Jahren abgegeben hat, sehr genau auf den Tatverdächtigen, so Ermittler Uwe Block.
Möglicher Tathergang
Am Tatabend soll Ralf H. in dem Bus gesessen haben, mit dem Nicole-Denise nach Hause zu ihren Eltern fahren wollte. Gegen 22:45 Uhr stieg sie an der Haltestelle Jungferntal aus. Weitere Zeugen beobachten, dass kurz vor der Schließung der Bustüren eine weitere Person ausgestiegen sei.
Prozessbeginn im Dezember 2018
Vier Verhandlungstage sind für den Schalla-Prozess angesetzt. So hofften nach 25 Jahren alle, auf einen baldiges Ende und Klarheit im diesem brutalen Mordfall. Doch der Prozess dauerte länger als geplant: Es wird nachermittelt, mehrere Gutachten und Untersuchungen in Auftrag gegeben.
Januar 2019
Das Schwurgericht hält den 53-jährigen Ralf H. aus Castrop-Rauxel weiter für dringend verdächtig, die Schülerin im Oktober 1993 überfallen und erwürgt zu haben. Nach der Bekanntgabe der Entscheidung legte sich der Angeklagte mit den Richtern an und beschimpfte sie als voreingenommen und unprofessionell,
Unterdessen hatten die Richter die Vorstrafen des 53-Jährigen erörtert. Der Angeklagte hat schon fünf Frauen überfallen und verletzt. Auffällig dabei: Nur drei Monate vor dem Mord an Nicole-Denise Schalla lauerte er in Castrop-Rauxel einer ebenfalls 16 Jahre alten Schülerin auf und drückte ihr Mund und Nase zu.
März 2019: Neues DNA-Gutachten belastet den Angeklagten zusätzlich
Nachuntersuchungen haben einen weiteren DNA-Treffer ergeben. Der Angeklagte Ralf H. bestreitet weiterhin den Mord.
Bisher gab es nur eine einzige Hautschuppe, die an der Leiche der 16-jährigen Schülerin gesichert und dem Angeklagten zugeordnet werden konnte. Zuletzt hatten die Richter jedoch angeordnet, dass alle damaligen Spuren noch einmal untersucht werden sollten. Die Anregung dazu war ausgerechnet von dem Angeklagten selbst gekommen.
Immer mehr Indizien sprechen gegen den Angeklagten
Experten haben weitere DNA-Spuren des Angeklagten an der Leiche der Schülerin nachgewiesen. Auch die neuen Treffer stammen aus der unbekleideten Leistenregion der im Herbst 1993 getöteten Schülerin. Der Täter hatte Nicole-Denise Schalla auf dem Heimweg im Jungferntal erwürgt und ihr anschließend die Hose heruntergezogen. Dass die DNA des Angeklagten zufällig an den Fundort gelangt sein könnte, glaubt die Sachverständige nicht. Und die Menge der Spuren lasse es auch immer unwahrscheinlicher werden, dass ein unbekannter anderer Täter die DNA von Ralf H. an der Leiche hinterlassen haben könnte. Der Angeklagte bestreitet aber nach wie vor, etwas mit dem Mord zu tun zu haben.
Angeklagter will mit Gutachten Unschuld beweisen
Der 53-jährige Angeklagte behauptet, nach zwei Handoperationen Ende der 1970er-Jahre überhaupt keine Kraft mehr in beiden Daumen zu haben. Daher könne er die Schülerin im Herbst 1993 im Jungferntal gar nicht erwürgt haben. Martin von Braunschweig berichtet.
Bis zum nächsten Verhandlungstag Mitte April will der Angeklagte den Prozessbeteiligten die Namen der Ärzte nennen, die ihn damals operiert haben sollen. Ob darüber hinaus auch noch ein medizinisches Gutachten über die Funktionstüchtigkeit der Hände eingeholt wird, haben die Richter noch nicht entschieden.
April 2019
Die Dortmunder Polizei und das Landeskriminalamt haben dem Gericht mitgeteilt, dass je einer ihrer Mitarbeiter als Spurenleger identifiziert sei. Daher bleibt als einziger Verdächtiger der Angeklagte im Visier der Justiz.
Der 53-jährige Angeklagte kann wohl auch nicht darauf hoffen, dass die beiden Ermittler unabsichtlich auch seine DNA auf die Klebefolien gebracht haben könnten. Der Dortmunder Polizist war bei der Tatortarbeit 1993 eingesetzt, der LKA-Beamte nur fünf Jahre später bei Faseruntersuchungen im Labor. Zu diesen Zeitpunkten gab es noch gar keine DNA-Spuren des Angeklagten im Archiv.
Juni 2019
Im Prozess um den Mord an Nicole-Denise Schalla legt sich der Angeklagte weiter mit den Richtern an. Weil er sie für voreingenommen und parteiisch hält, hat Ralf H. gegen alle Mitglieder der Kammer einen Befangenheitsantrag gestellt.
Der aktuelle Streit entzündete sich an einer Blutprobe, die die Richter von dem Angeklagten nehmen lassen möchten. An der Leiche der im Herbst 1993 ermordeten Schülerin war nämlich ein fremdes blondes Haar gesichert worden. Das ließ sich zwar nicht mehr auf DNA untersuchen. Dafür konnte jedoch die Blutgruppe bestimmt werden: Die Frage ist nun, ob auch Ralf H. Blutgruppe B hat. Der 53-Jährige will aber freiwillig keine Probe abgeben. Er sagt, da das Haar blond ist, könne es ohnehin nicht von ihm stammen. Wann über den Befangenheitsantrag entschieden wird, ist noch unklar.
Juli 2019: Befangenheitsantrag abgewiesen
Der Befangenheitsantrag des Angeklagten gegen die Richter wurde abgewiesen. Vor einem möglichen Urteil wird aber noch ein medizinischer Sachverständiger eingeschaltet, der die Hände von Ralf H. untersuchen soll.
August 2019: Neue Zeugin
Im August 2019 hat eine Überraschungszeugin ausgesagt. Die frühere Friseurin des Angeklagten Ralf H. hatte sich bei der Polizei gemeldet, weil sie glaubt, wichtige Angaben machen zu können. Dabei geht es vor allem um die Frisur, die der Angeklagte früher getragen haben soll.
Die Friseurin gab an, Ralf H. habe ihr gesagt, dass er seine Haare in der Vergangenheit nie so glatt wie jetzt getragen habe. „Früher hatte ich immer eine Dauerwelle“, sollen die Worte des 53-Jährigen gewesen sein. Und das könnte tatsächlich von Bedeutung für den Mordprozess sein. Denn der Busfahrer, der Nicole-Denise Schalla im Oktober 1993 als letzter lebend gesehen hatte, hatte ausgesagt, die Schülerin sei von einem Mann mit Lockenkopf verfolgt worden. Bisher behauptet Ralf H., mit dieser Beschreibung könne er ja wohl nicht gemeint sein. Möglicherweise sieht das nun anders aus.
Angeklagter scheitert mit Gutachten
Angeklagte scheiterte mit seiner Hand-OP Behauptung. Ralf H. hatte erklärt, nach zwei Hand-OPs in den 1970er-Jahren gar nicht mehr in der Lage gewesen zu sein, eine Frau zu erwürgen. Genau dafür gibt es jedoch nach Aussage eines medizinischen Gutachters keinerlei Hinweise.
Handchirurg Dr. Wolfram Teske aus Hagen hatte den Angeklagten extra im Gefängnis besucht. Das Ergebnis: Die Handball-Verletzungen aus den 1970er-Jahren sind weitgehend folgenlos verheilt. Die Handlungsfähigkeit der Hände sei nicht beeinträchtigt. Es seien auch keine Hinweise auf eine jahrelange Schonhaltung festzustellen. Das heißt letztendlich nichts anderes, als dass Ralf H. sehr wohl in der Lage gewesen sein könnte, Nicole-Denise Schalla zu erwürgen.
März 2020: Prozess platzt wegen Krankheit
Im März 2020 platzt der Prozess. Die Sorge der Eltern bestätigt sich. Der Prozess platzt und muss von vorne aufgerollt werden. Auch sie müssen erneut Aussagen – wie alle anderen Zeugen auch. Der Angeklagte versucht seine Freilassung zu erzwingen. Doch das Oberlandesgericht lehnt ab - wegen Fluchtgefahr und da es bis dato keine Verzögerung gab
Juli 2020: Angeklagter aus U-Haft entlassen
Im Juli 2020 hat der Angeklagte dann aber Erfolg. Er kommt auf freien Fuß. Obwohl Ralf H. weiterhin dringend verdächtig sei, sei die weitere Untersuchungshaft nicht mehr verhältnismäßig. Das Oberlandesgericht schiebt die Schuld klar auf die Dortmunder Richter. Dort sei man nicht schnell genug gewesen. Spätestens Ende April hätten die Verhandlungen wieder beginnen müssen. Aber es kann in der Zwischenzeit zu Verzögerungen.
Dann bekam der Angeklagte neue Verteidiger und Akten waren verschwunden. Weil sie sich nicht ausreichend vorbereiten konnten, wurde der Prozess wieder verschoben.
August 2020
Kaum hat der neue, zweite Prozess begonnen droht auch dieser wieder zu platzen. Weil inzwischen der Vorsitzende Richter ausgewechselt wurde, haben die Verteidiger erneut eine Entscheidung des Oberlandesgericht beantragt. Das hat die Rüge des Angeklagten zur Besetzung des Dortmunder Schwurgerichts aber zurückgewiesen.
Nerven liegen blank
In einer Verhandlungspause ging der Vater von Nicole-Denise Schalla auf den Angeklagten los und musste von einem Anwalt zurückgehalten werden. Später entschuldigte er sich für seinen Ausraster. Zu Beginn des zweiten Verhandlungstages hatte zunächst der Angeklagte Ralf H. für einen Aufreger gesorgt. Der 55-Jährige ist wütend darüber, dass das Landgericht den Vorsitzenden Richter ausgetauscht hat und brachte dies mit Beleidigungen zum Ausdruck.
Aktuell ist er wütend darüber, dass das Landgericht für diese zweite Prozessauflage einen neuen Vorsitzenden Richter eingesetzt hat. Mit dem bisherigen, Peter Windgätter, hat sich Ralf H. immer wieder angelegt. Und jetzt hat er ihn lautstark als Rufmörder und auf einem Plakat, das er mitgebracht hatte, als Hin-Richter bezeichnet.
DNA stammt von Angeklagten Ralf H.
Eine an der Leiche gesicherte und nachträglich auf Genmaterial untersuchte Hautschuppe stammt eindeutig vom Angeklagten. Ralf. H. beteuert dennoch weiterhin seine Unschuld. Seine Verteidiger wollen darauf hinaus, dass das Genmaterial durch eine Verunreinigung im Labor auf die Klebefolie gelangt sein könnte, wie es bei früheren Untersuchungen im Mordfall Schalla schon passierte. Eine vermeintlich gesicherte männliche DNA-Spur stammte von einem Mitarbeiter des Landeskriminalamts. Der Gutachter kann sich aber keinen Fall vorstellen, bei dem durch eine Verunreinigung die DNA eines unbeteiligten anderen Straftäters übertragen wird. Zu diesen Fragen sollen noch weitere Experten gehört werden.
Januar 2021: Plädoyers gesprochen
Die Prozesstage wurden wegen Erkrankung des Angeklagten verschoben. Im Januar 2021 wurden die Plädoyers gesprochen. Der Staatsanwalt hat eine lebenslange Haft für den Angeklagten Ralf H. beantragt. Darüber hinaus sollen die Richter die besondere Schwere der Schuld feststellen, um eine mögliche Haftentlassung bereits nach 15 Jahren zu verhindern.