Richteraffäre belastet NRW-Justizminister Limbach
Veröffentlicht: Freitag, 04.10.2024 14:37
Ein wichtiger Richterposten, Klagen von abgelehnten Bewerbern und ein Justizminister, den die Opposition unter Druck setzt: Das sind die Zutaten für eine Affäre, die sich in Nordrhein-Westfalen gerade abspielt. Die sogenannte Richteraffäre hat schon zahlreiche Gerichte beschäftigt und ist jetzt auch Inhalt eines Untersuchungsausschusses im Landtag. Im Mittelpunkt steht die Frage, ob NRW-Justizminister Benjamin Limbach bei der Vergabe eines der wichtigsten Richterpostens im Land unerlaubten Einfluss genommen hat.
Seit Mitte 2021 wird nach einer neuen Präsidentin oder einem neuen Präsidenten für das oberste Verwaltungsgericht des Landes gesucht - dem Oberverwaltungsgericht (OVG) mit Sitz in Münster. Wann immer Bürger mit der Entscheidung einer Behörde nicht einverstanden sind, haben sie die Möglichkeit, vor ein Verwaltungsgericht zu ziehen. Das OVG ist dafür zuständig, die Entscheidungen der Verwaltungsgerichte zu überprüfen, also für Berufungen, Revisionen und Beschwerden gegen Urteile der untergeordneten Gerichte im Land. Dabei kann es um das Bau- und Asylrecht genauso gehen, wie um Entscheidungen von Schulen, das Beamtenrecht, das Kommunalrecht oder das Versammlungsrecht.
Regeln gegen Vetternwirtschaft und Klüngel
Ein Bewerbungsverfahren für diesen hohen Richterposten läuft nach vorher klar definierten Regeln ab: Bewerberinnen und Bewerber schicken ihre Bewerbung an das Justizministerium. Das prüft und vergleicht die Bewerbungen mit dem Ziel, die beste oder den besten Kandidaten zu finden. Klassischerweise wird dabei unter anderem auf Führungskompetenz und Teamfähigkeit genauso geachtet, wie auf eine hohe Sach- und Fachkompetenz, Bestnoten im Studium und eine entsprechend hohe Belastbarkeit. Dieses Verfahren wird in der Verwaltungssprache “Bestenauslese” genannt. Dabei wird genau darauf geachtet, dass nur Kompetenzen, Fähigkeiten und Erfahrung berücksichtigt werden und nicht etwa Geschlecht, Herkunft oder persönliche Verbindungen.
Limbach soll Prinzip der Bestenauslese verletzt haben
NRW-Justizminister Benjamin Limbach (Grüne) soll dieses Verfahren unterwandert haben. Das werfen ihm die Opposition im Landtag und mindestens einer der Bewerber vor. Der Minister soll dafür gesorgt haben, dass eine Freundin den Zuschlag für den Präsidenten-Posten bekam. Die Bekannte soll erst bei einem privaten Abendessen ihr Interesse an dem Posten bekundet haben. Der Vorwurf lautet nun: Weil Limbach einerseits eine Frau auf dem Präsidentenstuhl sehen wollte und er und die Bewerberin eine Zeit lang Kollegen waren, soll er Einfluss ausgeübt haben, damit sie den Posten erhält.
Mitbewerber klagte teilweise erfolgreich
Am Ende erhielt Limbachs Duz-Freundin tatsächlich den Zuschlag. Ein Bundesrichter, der sich ebenfalls beworben hatte, und ein weiterer Bewerber, zogen dagegen vor Gericht. Das Verwaltungsgericht Münster hatte dann zunächst das Besetzungsverfahren gestoppt. Es äußerte Kritik und sprach von manipulativer Verfahrensgestaltung. Das Oberverwaltungsgericht in Münster, das pikanterweise in eigener Sache entschied, hatte als zweite Instanz gegen die Personalentscheidung keine Bedenken. In einem dritten Verfahren hob das Bundesverfassungsgericht die Entscheidung des OVG aber teilweise auf und verwies den Fall wieder an das OVG. Die Verfassungsrichter in Karlsruhe sahen Anhaltspunkte für eine Vorfestlegung des Ministers, denen nicht ausreichend nachgegangen worden sei. Die Richter befanden, dass die Vorwürfe besser geprüft und aufgeklärt werden müssen.
Drei eidesstattliche Versicherungen mit Widersprüchen
Zu dem ganzen Vorgang liegen inzwischen zwei eidesstattliche Versicherungen des Bundesrichters vor, der gegen das Besetzungsverfahren geklagt hatte. Auch Justizminister Limbach hat eine eidesstattliche Versicherung abgegeben. Im Großen und Ganzen widersprechen sich die Aussagen in zwei wesentlichen Punkten. Zahlreiche Medien, darunter die Westdeutsche Allgemeine Zeitung und der Kölner Stadt-Anzeiger haben über die Eidesstattliche Versicherungen ausführlich berichtet.
Der Bundesrichter führt aus, ihm sei von Limbach ein Gespräch mit dem Chef der Staatskanzlei, Nathanael Liminski empfohlen worden. Limbach hingegen sagt in seiner Versicherung aus, der Bundesrichter habe ihn selbst danach gefragt, ob er mit Liminski ein Gespräch führen könne. Das ist der erste Widerspruch. Der zweite betrifft den Inhalt eines Gesprächs am 11. November 2022 zwischen Limbach und dem Bundesrichter. Der Bundesrichter berichtet, das Gespräch habe das Ziel gehabt, ihn dazu zu überreden, seine Bewerbung zurückzuziehen. Limbach wiederum sagt, er habe dem Richter gesagt, er müsse angesichts des hochkarätigen Bewerberfelds selbst entscheiden, ob er seine Bewerbung aufrechterhalte. Niemand werde ihm böse sein, wenn er das tue. Die Tatsache, dass eidesstattliche Erklärungen abgegeben wurden, verleiht dem Ganzen eine zusätzliche Brisanz: Falsche Erklärungen an Eides Statt werden mit Geld- oder Freiheitsstrafen bestraft.
Vorwurf der politischen Vorfestlegung
Der unterlegene Bundesrichter sagt außerdem, er habe vom Justiziar der CDU/CSU-Bundestagsfraktion einen Anruf erhalten. Darin sei er aufgefordert worden, seine Bewerbung zurückzuziehen. Koalitionskreise in Düsseldorf hätten sich auf eine Frau für den Präsidentenposten geeinigt.
Der Bundesrichter zieht daraus den Schluss, die erfolgreiche Bewerberin sei wegen ihres Geschlechts bevorzugt worden. Die Auswahlentscheidung des Justizministers sei nicht nach der vom Grundgesetz verlangten Bestenauswahl, sondern im Wege einer politischen Vorfestlegung getroffen worden.
Ministerium weist Vorwürfe zurück
Aus dem NRW-Justizministerium ist zu hören, es habe keine unzulässige Vorfestlegung durch den Justizminister gegeben. Das Bundesverfassungsgericht habe die OVG-Entscheidung allein wegen der Notwendigkeit weiterer gerichtlicher Klärung aufgehoben. In allen anderen Punkten habe die Beschwerde keinen Erfolg gehabt. Das Justizministerium werde seinen Standpunkt auch in einem neuen Durchgang vor dem Oberverwaltungsgericht Münster vertreten und alles Notwendige zur Aufklärung beitragen.
Untersuchungsausschuss bisher unspektakulär
Am 30. September 2024 hat der Untersuchungsausschuss, der die Vorwürfe politisch aufarbeiten soll, die ersten Zeugen vernommen. Als erster Zeuge sagte ein Abteilungsleiter des Justizministeriums aus. Kernaussage: Es habe in der Sache keinen Versuch der Einflussnahme auf ihn gegeben. Es sei auch nie an ihn herangetragen worden, die Grünen wollten auf dieser Stelle unbedingt eine Frau. Limbach habe ihn im Gegenteil gebeten, den Vorgang ergebnisoffen zu prüfen. Ähnlich äußerte sich eine Referatsleiterin, deren Aufgabe es war, die Bewerber zu vergleichen. Sinngemäß sagte sie: Der Vergleich sei sehr komplex gewesen, aber sie sei überzeugt, dass das Ergebnis rechtmäßig gewesen sei. Weitere Zeugenvernehmungen sind geplant.
(Autor: José Narciandi)